Iko Andrae – Stiekelstrüük - Liederbestenliste
Empfohlen von: Rainer Hannes, Baden-Baden:
Übern s-pitzen S-tein s-tolpert bald niemand mehr. Dialekt sprechen ist in Deutschland, im Norden wie im Süden, nicht mehr angesagt. So eine dpa-Meldung Mitte November 2010. Der Grund für das drohende Aussterben: Im Beruf ist heute die Aussprache wichtiger als zu den Zeiten, in denen vorwiegend mit den Händen gearbeitet wurde. Mobilität + Informationsgesellschaft + Globalisierung = Entregionalisierung? Na, mal sehn. Totgesagte leben bekanntlich länger. Und was ist mit denen, die mehr als Dialekt sprechen, nämlich eine eigene zweite Sprache wie das Plattdeutsch? Die tun was. Iko Andrae zum Beispiel. Der, so der Pressetext, in Oldenburg lebende Musiker, Pädagoge, Weltenbummler und Buchautor gibt Konzertlesungen unter dem Motto „Riet dien Muul up!“ (nicht schwer zu übersetzen: Reiß dein Maul auf!). Dies war auch das Lebensmotto seines Vaters Oswald Andrae (1926-1997), eines Lyrikers aus Jever, der ab den 1960ern die niederdeutsche Dichtung entstaubte. Neunzehn satirische, politische und auch (liebes-)melancholische Texte seines Vaters hat Sohn Iko auf der CD Stiekelstrüük vertont (auf Anhieb kaum zu übersetzen: „Stachelstrauch“). Im Booklet sind alle Texte auf Plattdeutsch mitzulesen, und es ist eine wirklich spannende Entdeckungsreise, sprich: Bildung plus Vergnügen, in diese Sprache einzutauchen, die Texte zu erahnen, zu erraten, zu grübeln, manches auch – wie oft in lyrischen Texten – einfach stehen zu lassen, wie sie sind. „An´t open Füür“ ist so ein Lied: am offenen Feuer sich wärmen, Champagner trinken, essen und „Vietnam vergessen“, nicht von Blut sprechen. Wer sind die, die da am Feuer stehen? Oder sich erzählen zu lassen: „Ik seegh över Bargen mank all mien Drööm den Mand. He is an´t Rieden.“ (Ich seh über Bergen zwischen all meinen Träumen den Mond. Der reitet.) Fremd und zugleich vertraut hören sich die Lieder an. Musikalisch sind die Stücke breit gestreut: Folk, Rock, Pop, hier und da der Sound der Sechziger, bodenständig und immer melodisch. Die Musik nimmt den Hörer leicht mit. Was in diesem Fall gut so ist, denn das führt die Lyrik in den Mittelpunkt, schafft Konzentration auf die Texte. Dem Album Stiekelstrüük hört man an: Da hat einer mit voller Begeisterung für seine Sprache gearbeitet. Plattdeutsch ist alles andere als betulich oder gestrig, sondern sehr lebendig und allemal tauglich für die Lebensgefühle des 21. Jahrhunderts.